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Digitale Gesundheit für alle

„Lasst uns die Patient Experience nutzen“ – ein Gespräch über DiGA mit Versorgungsforscherin Katharina Haller

Hallo Katharina,

schön, dass Du Dir die Zeit nimmst, mit uns ein wenig über Deine Arbeit im Bereich DiGA zu sprechen und uns unter anderem Einblicke in Deine Perspektive zu unserer Diskussion zum Thema „Gender“ gibst.

Magst Du Dich zu Beginn einmal kurz vorstellen? Was machst Du und welche Berührungspunkte hast Du zum Thema DiGA?

Gerne, ich bin Katharina und arbeite seit einem Jahr bei der BIG direkt gesund im Bereich Forschung und Entwicklung, zu dem auch die Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) gehören. Hier verfolge ich neugierig, wie sich der noch relativ neue Markt entwickelt, welche DiGA von unseren Versicherten genutzt werden und lese Studien und Berichte rund um das Thema DiGA.

Außerdem führen wir als Krankenkasse Umfragen mit unseren Versicherten durch, um aus der Patientenperspektive zu lernen, was für eine erfolgreiche Nutzung und schließlich einen Behandlungserfolg wichtig ist.

Unser Wunsch ist es, im gemeinsamen Austausch mit Herstellern Möglichkeiten zu erörtern, wie unsere Erkenntnisse dabei helfen können, die jeweilige DiGA zu optimieren.

Aus der Studie vom Spitzenverband Digitale Gesundheitsversorgung geht hervor, dass 69% der Einlösungen von Frauen stammen. Wie kannst Du Dir das erklären?

Mit Blick auf die generelle Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen scheint dies kein verwunderliches Ergebnis zu sein. Frauen haben eine signifikant höhere Inanspruchnahme in der ambulanten ärztlichen Versorgung und nehmen häufiger Früherkennungsmaßnahmen bzw. Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch.

Aus unserer letzten Befragung ging ebenfalls hervor, dass Frauen häufiger gesichert diagnostiziert sind und das bei nahezu gleicher Prävalenz, was für die Inanspruchnahme der ärztlichen Versorgung spricht. Studien zeigen außerdem, dass Frauen eine höhere Gesundheitskompetenz haben als Männer.

Man könnte schlussfolgern, dass Frauen sich häufiger um ihre Gesunderhaltung bemühen und sich häufiger über Leistungen, also auch DiGA informieren, sie also auch häufiger in Anspruch nehmen.

Du begleitest die Versicherten nach Einlösung mit Interviews und Umfragen während des Nutzungszeitraumes. Kannst Du auch dort geschlechterspezifische Unterschiede feststellen?

In unseren Umfragen konnten wir ebenfalls einen erhöhten Frauenanteil feststellen, zum einen, was die Inanspruchnahme von DiGA betrifft, zum anderen hinsichtlich der Bereitschaft an einer Umfrage teilzunehmen. Außerdem weisen beide Geschlechter eine unterschiedliche Komorbiditätslast auf – ein spannender Punkt, der gerade bei einer Eingangsbefragung einer DiGA geklärt werden könnte, denn es wäre wünschenswert, dass auch Begleiterkrankungen in der Behandlung berücksichtigt werden.

In einem Prä-Post-Vergleich zu der emotionalen und körperlichen Belastung zeigen Frauen signifikant bessere Ergebnisse. Ein weiterer geschlechterspezifischer Unterschied zeigt sich im Net Promotor Score, welcher misst, wer von den Anwendenden ein Produkt (nicht) weiterempfehlen würde. Hier geben Frauen im Durchschnitt eine bessere Bewertung ab.

Wir haben auch untersucht, ob es Unterschiede in der Nutzung der Funktionen oder der Abbruchrate gibt. Hier konnten wir keine Unterschiede zwischen den Geschlechtern feststellen.

Wie könnte diesen Unterschieden begegnet werden? Was denkst Du, was motiviert Frauen eine DiGA zu nutzen und was motiviert Männer? Hast Du hier Erfahrungswerte?

Ich denke, ein wichtiger Baustein ist die Aufklärung über die Inhalte der DiGA – das gilt allerdings nicht geschlechterspezifisch. Es liegt auf der Hand, dass es hilft im Vorfeld zu wissen, was Inhalte eines Produktes sind und was von diesem Produkt erwartet werden kann. Das setzen einige Anbieter schon erfolgreich um – beispielsweise mit Videos. So können potenzielle Nutzende im Vorfeld entscheiden, ob sie die Inhalte ansprechen und die Anwendung nutzen möchten – und so kann das frustrane Erleben minimiert werden, das teilweise entsteht, wenn die Realität nicht mit den Erwartungen mithalten kann.

Laut unserer letzten Umfrage sind die Interviewten z. B. der Meinung, dass die betrachtete DiGA vor allem für Personen geeignet ist, die sich auf die Anwendung einlassen können. Mit einer entsprechenden Aufklärung kann die individuelle Eignung schon vor Beginn eingeschätzt werden.

Wichtig ist zudem, dass die Patient:innen da abgeholt werden, wo sie stehen, am besten durch eine Individualisierung mittels einer kurzen Vorabbefragung – wenn jemand schon 5 Jahre erkrankt ist, ist die Person frustriert, wenn sie in einem Wissensmodul die bereits bekannten Basics der Erkrankung erklärt bekommt und diese ggf. nicht überspringen kann. Solche Frustrationen können und sollten vermieden werden.

Zudem lohnt es sich, verschiedene Nudging-Strategien einzubauen. Erfahrungen dazu, was Männer bzw. Frauen motiviert, habe ich leider nicht.

Abschließend denke ich, dass geschlechtsunabhängig vor allem mit einer umfangreichen Aufklärung, einer gewissen Individualisierung und Nudging-Strategien viel erreicht werden kann.

Was motiviert Dich ganz persönlich aktiv eine App zur Steigerung der Gesundheit zu nutzen?

Für mich ist es wichtig, dass ich da abgeholt werden, wo ich stehe. Ich möchte nicht das Gefühl bekommen, dass ich wie am Fließband durch ein Programm geschleust werde, in dem alle die identische Behandlung bekommen – Menschen sind individuell, Krankheitsverläufe sind individuell. Ich bin großer Fan von umfangreichen Eingangsbefragungen: wo stehe ich gerade, wie lange bin ich erkrankt, was sind meine Ziele, usw. Auf dieser Basis können die Inhalte dann auf meinen Bedarf zurechtgeschnitten werden. Gerade was die Funktionen angeht, ist weniger manchmal mehr – dafür mehr von dem Richtigen, sonst fühle ich mich ggf. überfordert. Auch unsere Befragung hat gezeigt, dass gerade einmal die Hälfte der angebotenen Funktionen genutzt wird.

Außerdem finde ich Belohnungsstrategien sinnvoll, sodass ich Lust bekomme meiner DiGA beispielsweise zu „erzählen“, dass ich heute x Übungen für meine Erkrankung gemacht oder mich gesund ernährt habe – dafür gibt’s Bonuspunkte und ich kann ein Level aufsteigen, schalte einen neuen Wissensbeitrag, eine Übung oder Ähnliches frei. Es gibt viele Wege, um den Spaßfaktor zu erhöhen und ein bisschen Gamification einzubauen. Am besten werden zusätzlich Statistiken hinterlegt, sodass ich meinen Fortschritt monitoren kann und einen Ansporn erhalte, mich in Bezug auf die vorherige Woche zu steigern. Hier sind auch Vergleiche zwischen Nutzenden denkbar, zumindest mit einer positiven Formulierung; „Du warst diese Woche aktiver als 56 % der anderen Nutzenden“, o.Ä. – der psychologische Effekt sollte jedoch im Vorfeld für die einzelne Anwendung gut recherchiert werden.

Die Kirsche auf dem Sahnehäubchen wäre eine Feedbackfunktion, sodass ich das Gefühl bekomme, meine Meinung zu der DiGA wird in der Weiterentwicklung mitbedacht – denn als aktive Nutzende bin ich natürlich eine wertvolle Informationsquelle.

Insgesamt muss die App erreichen, dass ich einen persönlichen Mehrwert erkenne, Spaß an der Anwendung habe und sie täglich öffnen möchte.

Was möchtest Du uns noch zum Thema mitgeben?

Mit den DiGA haben wir ein junges Forschungsfeld, das auf einen Versorgungsbedarf trifft und bereits gute Ergebnisse erzielt. In Studien können wir erfolgreiche Behandlungsfälle und good enough Effekte beobachten. Da es immer noch eine große Anzahl Abbrechender gibt, sollte es ein Anliegen sein, die Anzahl der positiven Behandlungsfälle zu erhöhen. Dabei ist die Befragung der Nutzenden der beste Weg, um Real-World-Evidenz zu generieren und die Anwendung auf die Bedürfnisse der Personen anzupassen, die sie nutzen.

Das Wissen und die Erfahrungswerte sind vorhanden, die Nutzenden müssen nur befragt werden – Lasst uns die Patient Experience nutzen!


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Dustin Hesse

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